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Ehe und Familie als kulturelles Erbe – Kontinuitäten und Disruptionen
Prof. Dr. Ekkehard Felder
Sven Bloching, M.A.
Die deutsche Stabilitätskultur in der Eurozone – Krisenpolitik oder Kulturwandel?
Prof. Dr. Sebastian Harnisch
David Barkhausen, M.A.
Umkämpftes Kulturelles Erbe und Black Speculative Fiction
Jula Maasböl, M.A.
Ehe und Familie als kulturelles Erbe – Kontinuitäten und Disruptionen
Dieses Projekt untersucht Sprachkämpfe als Kulturkämpfe im Zusammenhang mit dem institutionellen sowie gesellschaftlich-konzeptuellen Kulturerbe von ›Ehe‹ und ›Familie‹. Mit einem linguistisch-diskursanalytischen Ansatz widmet es sich den kontingenten und vielseitigen Wechselwirkungen zwischen Sprach-, Kultur- und Rechtswandel.
Im Zentrum des Untersuchungsinteresses steht dabei die Frage nach individuellen sowie kollektiven Lenkungs‑, Persuasions- und Manipulationsmöglichkeiten durch distinktive Bezeichnungsstrategien. Welche Akteure sprechen z. B. wann und in welchen Zusammenhängen von einer Homo-Ehe, welche von einer Ehe für alle – und warum? Dem inzwischen populären Credo „Sprache schafft Wirklichkeit“, das durch den Fokus auf die lexikalische Ebene zuweilen banalisiert zu werden droht, stehen hochkomplexe pragmatische und kontextuelle Diskursdynamiken gegenüber, die durch einzelne Diskursakteure kaum antizipierbar, geschweige denn kontrollierbar scheinen. Umso mehr gilt es daher, diese korpuspragmatisch nachzuzeichnen.
Um diesen komplexen Zusammenhängen nachzugehen, ist die diachrone Analyse verschiedener Korpora aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen und Kurationskulturen essenziell. So werden im Projekt linguistisch aufbereitete Korpora aus juristischen Zeitschriften, Gerichtsentscheidungen, Zeitungstexten, Protokollen des deutschen Bundestags und des Europaparlaments, aber auch aus Kurznachrichten des Mikroblogging-Dienstes Twitter qualitativ sowie quantitativ analysiert.
Eine besondere Rolle spielen dabei die juristischen Texte, insofern sie gleich einem Nadelöhr zentrale Argumentationen, Konzeptualisierungen und Präsuppositionen eines thematischen Diskurses raffen, reflektieren und einordnen. Gleichzeitig treten sie in denselben ein, das macht sie besonders relevant und einflussreich. Dabei steht das Recht in einem Spannungsverhältnis zwischen Stabilität und Dynamik, zwischen Kontinuität und Disruption - oder zugespitzt: Recht bereitet Lebenssachverhalte spezifisch zu, indem es sie in sein Sprachspiel transformiert und inkorporiert. Dadurch interagieren Recht und Zivilgesellschaft diskursiv, und es besteht eine produktive Interdependenz zwischen konservierender Kuration eines kulturellen Erbes einerseits und Adaption desselben an kulturellen und gesellschaftlichen Wandel andererseits.
Die deutsche Stabilitätskultur in der Eurozone – Krisenpolitik oder Kulturwandel?
Wer während der Corona-Pandemie einen Blick auf die wirtschaftspolitischen Krisenmaßnahmen der europäischen Mitgliedsstaaten und Institutionen wirft, für den mag die Geld- und Fiskalpolitik in der Eurozone nicht wiederzuerkennen sein. Die Haushaltsregeln des Maastrichter Vertrages sind einstweilen ausgesetzt und die Verschuldung der Mitgliedsstaaten ist gestiegen. Entgegen der bisherigen Weigerung aus einigen Mitgliedsstaaten, darunter der Bundesrepublik, nimmt die EU erstmals gemeinsame Schulden auf. Und auch die EZB hält an ihren Anleihekäufen fest und erleichtert damit die Finanzierung der Euro-Staaten auf den Finanzmärkten.
Die institutionelle Stabilitätskultur der Eurozone – das Gebot einer unabhängigen Zentralbank und die strikte Trennung von Geld- und Fiskalpolitik, die Vorgaben ausgeglichener Haushalte, niedriger Schulden und das Verbot gemeinsamer Haftungsübernahme – gerät damit zunehmend unter Druck. Bisher wurden diese Eckpfeiler eines stabilen europäischen Währungsraumes durch die Bundesregierung u.a. mit den historischen Inflationstrauma aus der Weimarer Republik begründet, die vor allem während der jüngsten Phase steigender Preise in der öffentlichen Debatte erneut bemüht werden.
Wie jedoch lässt sich der Wandel der institutionellen Stabilitätspolitik erklären?
Dieser Frage stellt sich das politikwissenschaftliche Teilprojekt des Tandems. Dabei begreifen wir die Auseinandersetzung um die Geld- und Fiskalpolitik in der Eurozone als einen Kulturkampf unterschiedlicher Kuratoren, die mit ihren Policy-Präferenzen nach diskursiver Hegemonie in der Debatte streben. Im Zentrum des Forschungsprojektes steht die Frage, unter welchen Diskursbedingungen sich die Wahrung der stabilitätspolitischen Vorgaben verändert, diese Vorgaben neu interpretiert und/oder alternative institutionelle Rahmenbedingungen eingerichtet werden.
Zur Beantwortung der Frage wird eine Diskursanalyse der politischen Binnendebatte innerhalb Deutschlands, der Auseinandersetzung innerhalb der Europäischen Union ebenso wie im internationalen Umfeld im Untersuchungszeitraum der Jahre 2002 bis 2020 eingesetzt. Dabei nimmt das Projekt auch den Einfluss von Finanzmärkten und Rating-Agenturen in den Blick und prüft, ob und inwiefern die Praxis der Finanzmärkte den institutionellen Wandel unterstützt, bestätigt oder in Frage stellt und die bisherigen Kernelemente der deutschen Stabilitätskultur erneut gefestigt werden.
Umkämpftes Kulturelles Erbe und Black Speculative Fiction
– Die Ebenen des Heritage-Making im Werk N.K. Jemisin
Dieses Projekt behandelt das Thema Culture Wars aus der Perspektive der US-Amerikanischen Literaturwissenschaft. Seit einigen Jahren entstehen zahlreiche Romane schwarzer US-amerikanischer Autoren, die auf raffinierte Weise bekannten Motiven der spekulativen Fiktion neuen Ausdruck verleihen. N.K. Jemisins Broken Earth-Trilogie und ihre Kurzgeschichten schildern unter Verwendung der Genres Science Fiction und Fantasy Prozesse des Heritage-Making, der Auseinandersetzung mit und Interpretation von kulturellem Erbe, die zutiefst mit der inhaltlichen Fantastik ihrer Textwelten verwoben sind – und gewähren so einen komplexen, jeweils einzigartigen Blick auf die Thematik. In der Annäherung an Jemisins Werke greift das Projekt das Konzept des Heritage-Making als kontinuierlichen Prozess kultureller Performanz und Verhandlung kultureller Bedeutung auf und zeichnet ebendiese Prozesse und ihre Behandlung in den Texten nach. Jemisins komplexe Sekundärwelten spielen mit den Erwartungen des spekulativen Genres und halten eine Vielfalt an Charakteren bereit, deren Bezug zum eigenen ethnischen und kulturellen Hintergrund besonders kompliziert ist: Zum einen gewährt ihnen der Rückbezug auf ihr persönliches kulturelles Erbe besondere Fähigkeiten, zum anderen ist dieser Rückbezug jedoch stets erschwert durch Historien der Unterdrückung und Auslöschung. So gelangen Jemisins Protagonisten in eine dem spekulativen Genre typischen Position: Übernatürlich befähigt, die Welt, in der sie leben, zu retten – oder sie eigenhändig zu zerstören – stehen sie vor der Aufgabe, Systeme der Unterdrückung zu stürzen und gleichzeitig ihre eigenen Wurzeln zu entdecken und diesen gerecht zu werden. Dies platziert sie inmitten der umkämpften Heritage-Making Prozesse ihrer Textwelten.
Durch die Untersuchung der Darstellung kulturellen Erbes, seiner Entstehung und Verhandlung in Jemisins Werk erforscht das Projekt die Schnittmengen zwischen der Thematik des umkämpften kulturellen Erbes und Prozessen des Heritage-Making und seiner gesellschaftlichen Herausforderung mit Themen wie Affekt und Raum, Rassismus, Unterdrückung und Vertreibung sowie intergenerationalem Trauma und Identität. Dabei liegt zudem ein Augenmerk darauf, wie die Texte im Besonderen die literarischen Mittel der spekulativen Fiktion nutzen, um diesen Prozessen neuen, individuellen Ausdruck zu verleihen und sich so gegenüber dem Genre der spekulativen Literatur im Allgemeinen und der Black Speculative Fiction im Besonderen positionieren.
Die Kuration literarischer Preise
Seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts manifestiert sich kulturelles Prestige vor allem im System literarisch-künstlerischer Preise. Preisverleihungen sind immer umstritten, reflektieren sie doch symbolische Ungleichheiten im öffentlichen Raum. Das avisierte Projekt soll untersuchen, wie sich die relative Autonomie literarischer Kurationskulturen auf den Verlauf gesellschaftlich relevanter Verdunklungsprozesse im intellektuellen Kulturerbe auswirkt. Die Ausgangsthese wäre, dass Konsekrationsprozesse vor allem dann gesellschaftlich kontrovers werden, wenn kuratierte Werte mit öffentlich wahrgenommenen moralisch-politischen Werten in Konflikt kommen. Die Verdunklung literarischen Prestiges beginnt, so die Ausgangsthese, wenn die von autorisierten Kuratoren legitimierte „Qualität“ eines Werks durch zivil-religiös „toxische“ Symbolisierungen verunreinigt wird. Ziel der Untersuchung des Preissystems wäre, die Kontextrelevanz von Verdunklungskämpfen besser zu verstehen.
In einem ersten Schritt sollen die Wechselwirkungen zwischen öffentlicher und kurationsinterner Verdunklungsbewegungen untersucht werden. Welche Akteure spielen hier eine Rolle? Wie lassen sich weltliterarische Unterschiede fassen? Inwiefern transformieren die Werte zivilsakraler“ Werte auch das literarisch-künstlerische Feld, dessen Akteure auch moralisch-politische Konsekrationsfilter anlegen (wenn etwa das amerikanische Preissystem dazu tendiert, evangelikal-religiöse oder wertkonservative literarische Projekte abzuwerten)? Relevant wäre weiterhin auch die Frage, wie und durch welche Akteure vermittelt, zivil-religiöse Werte auch den Prozess des (kurationsinternen) Kanonwandels mitbestimmen (etwa die identitätspolitische Ab- oder Aufwertung verschiedener Autoren).
In einem zweiten Schritt soll die Relevanz feld-spezifischer Autorität für die Verhandlung gesellschaftlicher Verdunklung untersucht werden: Wie lassen sich die in politischen und kulturellen Feldern konkurrierenden öffentlichen und kuratorischen Kräfte fassen? Auf welcher Basis verändern sich die system-internen und externen Autoritätshierarchien? Zur Erforschung der Autonomie von Kurationskulturen sollen auch Vergleiche mit den mehrfach vermittelten Märkten der bildenden Kunst und den kommerziell abhängigeren Prestigeökonomien etwa der Filmindustrie dienen.
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